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Die wilden Pferde in Bosnien

Alle Fotos von Rosi Reinhold / www.frau-k.com
Alle Fotos von Rosi Reinhold / www.frau-k.com

Ein toller Erlebnisbericht von Rosi Reinhold


Schon als Kind träumte ich davon den Wildpferden ganz nah zu sein. Vor einigen Wochen wurde mein Traum endlich wahr und ich durfte einige Zeit mit einer riesengroßen Wildpferdeherde in Bosnien verbringen.

 

Ungefähr 360 Pferde umfasst diese frei lebenden Herde, die vor etwa 50 Jahren aus entlaufenen und freigelassenen Hauspferden entstanden ist. Den Kontakt mit Menschen kennen sie nicht. Gemeinsam leben sie auf einer Fläche von 140 Quadratkilometern. Das ist fast so groß wie Schleswig-Holstein. Guckt Euch das mal auf der Karte an, dann wisst ihr, dass das wirklich seeeehr groß ist. Deshalb brauche ich auch sehr lange bis ich die Wildpferde endlich finde.

Nach einer langen Fahrt im Jeep treffe ich endlich auf die ersten Herdenmitglieder. Ihr Anblick überwältigt mich, erfüllt mich mit Erfurcht. Stark sehen sie aus. Stolz und mächtig. Ganz anders als die Pferde bei mir zu Hause.


Als ich das Auto verlasse, bin ich sehr vorsichtig, denn ich will sie nicht verscheuchen. Ich merke aber schnell, dass ich mir darüber keine Sorgen machen muss. Sie sind nämlich ziemlich neugierig. Sehr neugierig sogar. Sie kommen direkt auf mich zu und begrüßen mich. Von oben bis unten schnuppern sie mich ab. Und haben überhaupt keine Angst. Ich schaue genauer hin und erkenne in Ansätzen Lipizzaner, Isländer, Tarpan, bosnisches Bergpferd, Haflinger, Friesen und viele andere Pferderassen mehr. Es ist schöner als in all meinen Vorstellungen; wunderschöne freie stolze Pferde auf saftigen grünen Wiesen.


Nach einer Weile erkenne ich einzelne Familienstrukturen. Die Herde ist sehr komplex und besteht aus Familien mit Hengst, Stuten und Fohlen, aus Hengstgruppen und auch aus einzelnen Hengsten. Ich bin sehr überrascht über diese Konstellation. Bis zu diesem Zeitpunkt dachte ich, Hengste seien Einzelgänger und würden kämpfen sobald sie aufeinandertreffen. Das tun sie tatsächlich nur ganz selten. Üblicherweise leben sie friedlich nebeneinander und einige von ihnen sind befreundet. Wenn sie selbst noch keine Familie gegründet haben, leben sie in kleinen Hengstgruppen zusammen.


Die Familien bestehen immer aus einem Hengst, ein bis fünf Stuten und deren Fohlen. Sie stehen dicht nebeneinander und die Hengste gehen sehr liebevoll mit ihren Kindern um. Sie lecken sie ab und bewachen diese, wenn sie müde sind und schlafen. Wenn die Familie wandert, geht die Leitstute immer vorn und der Hengst immer an letzter Stelle.


So hat er alles im Blick, was vor und was hinter ihm geschieht und kann seine Familie am besten vor Gefahren beschützen. Nichts an ihnen strahlt etwas Böses aus. Sie sind stark und neugierig, aber auf keinen Fall böse.


Am zweiten Tag erkenne ich, dass die Herde einen festen Tagesablauf hat und dabei außerdem rund 20 Kilometer pro Tag wandert. Morgens gehen sie gemeinsam zum Wasserloch, baden und trinken dort. Gegen Mittag begeben sie sich an windige Plätze, um sich vor Insekten und der Hitze zu schützen. Jetzt schlafen sie überwiegend. Am späten Nachmittag werden sie aktiver und setzen ihre Wanderung zu einem Sandplatz fort.


Die Pferde gehen immer im Schritt. Sie galoppieren nicht und sie springen nicht. Am Sandplatz finden sie lebensnotwendige Mineralien und lecken den Boden ab. Je kühler und dunkler es wird, umso aktiver werden die Pferde. Sie beginnen ausgiebig zu grasen. Sie fressen nachts. Das hätte ich nicht gedacht. Bisher war ich davon ausgegangen, dass Pferde nachts schlafen, genau wie wir Menschen. Doch tatsächlich haben sie einen ganz anderen Rhythmus als wir denken.


Im Endeffekt ist es logisch, dass die Pferde nachts nicht schlafen. Denn nachts werden ihre Fressfeinde, Wölfe und Bären, wach und gehen auf Jagd. Würden die Pferde schlafen, würden sie gefressen werden. Sie müssen nachts wach bleiben, um flüchten zu können.


Ich denke an unsere Pferde zu Hause, die den ganzen Tag oder zumindest nachts in eine Box gebracht werden. Die nur zu bestimmten Zeiten etwas zu essen bekommen. Die tagsüber arbeiten und nachts schlafen sollen.


Ich denke an Stuten, die ihre Fohlen ohne Hengst großziehen. Ich denke an die Zuchthengste, die niemals ihre Kinder ablecken dürfen. Ich denke an die vielen Wallache, denen man das Hengstdasein verwehrt, weil sie angeblich zu böse seien. Sie gibt es in der Natur gar nicht.


Ich denke an meinen wundervollen John, der niemals diese Freiheit leben wird. Es macht mich traurig.


Die Reise zu den Wildpferden hat mir gezeigt, dass ich noch viel ändern muss, um meinem Pferd ein artgerechtes Leben in Gefangenschaft zu ermöglichen.

John soll zumindest grasen, baden, Mineralien suchen und wandern dürfen, wann immer er will. Er soll eine feste Herde haben, in der nicht ständig Pferde kommen und gehen. Eine Familie eben.


Und weil ich nach meinen Erlebnissen bei den Wildpferden keinen Sinn mehr darin sehe, reite ich John auch nicht mehr. Zwar existiert weiterhin ein Zaun um seine Weide, aber ich möchte zumindest, dass er über sich, seinen Körper, sein Leben frei bestimmen kann. Ich habe ihn frei gelassen, er muss nicht mehr arbeiten, damit er ein bisschen so sein kann, wie ein Wildpferd. 


Eine kleine Anmerkung von Ponykram-Karo

Natürlich musst du jetzt nicht aufhören zu reiten. Aber vielleicht denkst du an diesen Bericht, wenn du das nächste Mal auf deinem Pferd sitzt. Versuche doch mit dem Pferde gemeinsam etwas zu erreichen - durch Lob und Motivation anstelle von Druck und Zwang. Und überlege, wie du die gemeinsame Reitstunde sinnvoll aufbauen kannst. Versuche beispielsweise eine Aufgabe, eine Lektion, in viele kleine Einzelschritt aufzuteilen, damit dein Pferd versteht, was du von ihm möchtest. Im besten Fall macht Reiten dein Pferd immer noch stolzer und schöner, als es sowieso schon ist.

Aber das geht nur, wenn du seinen Willen nicht brichst, sondern seine Persönlichkeit zum glänzen bringst.


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